Die meisten haben kein Tattoo!

Kämpfe im Drahtkäfig unter Einsatz aller Kampftechniken. Der Erfolg von Mixed Martial Arts (MMA) wird in Deutschland mit Misstrauen beobachtet. Ein Interview mit dem Vorsitzenden der Free Fight Association, Andreas Stockmann.

citysports.de: Sie gelten als MMA-Legende in Deutschland, was fasziniert Sie an diesem Sport?

Andreas Stockmann: Die Vielfältigkeit der Möglichkeiten. Boxen hat sechs Grundtechniken. MMA vereinigt alle Kampfsportdisziplinen wie u.a. Thaiboxen, Ringen  – bei MMA werden alle Basistechniken angewendet.

Und, welcher Kampfsportler hat die besten Chancen?

Judo- und Karatekämpfer haben eine gute Basis, an der sie anknüpfen können. Olympiasieger, Weltmeister im Judo schrauben im MMA den Level nach oben. MMA ist aber inzwischen ein eigener Stil.

Die Kämpfer tragen kurze Hosen, Tief- und Mundschutz sowie Handschuhe, die die Finger für Grifftechniken freilassen. Gekämpft wird in einer umzäunten Kampffläche, warum denn ausgerechnet in einem Stahlkäfig  - das wirkt doch unmenschlich brutal.

Es wird im Käfig oder im Ring gekämpft. Wenn ein Ringer und ein Boxer aufeinandertreffen, dann versucht der Ringer natürlich den Boxer auf den Boden zu werfen – dann kann es passieren, dass man von der Fläche fällt. Nicht im Kampf, sondern dabei habe ich mir immer die schwersten Verletzungen zugezogen. Die Netze sind dazu da, nicht aus dem Ring rauszufallen.

Und warum muss der Käfig so hoch sein?

Die Höhe ist wegen des Kopfschutzes erforderlich. Der Draht ist zudem stabil, damit der Kämpfer sich nicht verletzt.

Letztendlich verletzt sich doch immer jemand! Wenn man MMA recherchiert findet man oft Bilder oder Videos, wie ein Kämpfer auf dem Boden liegt und der andere immer wieder auf ihn einschlägt.

Wenn sich ein Kämpfer nicht mehr intelligent verteidigen kann, dann bricht der Schiedsrichter den Kampf ab, oder der Kämpfer schlägt mit der Hand auf den Boden. Von außen kann ein Laie nicht erkennen, wenn sich der unten Liegende verteidigt. Er sieht nur A schlägt B und nicht, dass B schon was vorbereitet.

Sie selbst sind in Dessau geboren, Künstler, Ringrichter sowie Ausbilder - was sind das für Menschen, die so einen Vollkontaktsport betreiben?

Im Boxen sitzt die Intelligenz im Zuschauerraum, die harten Jungs im Ring – bei MMA kämpft die Intelligenz im Ring.

Und die Zuschauer?

Das ist nur eine Anekdote.

Ist es so, dass Phänomene wie MMA nur unter bestimmten sozialen Bedingungen groß werden, unter Arbeitslosigkeit und Zukunftsängste? Nach dem Motto: Sich frei prügeln?!

Nein, dem ist nicht so. Die derzeitigen Probleme haben nichts mit einem Sport zu tun, der über 2.000 Jahre alt ist und der seine Renaissance vor hundert Jahren hatte. MMA ist in der medialen Wahrnehmung in Deutschland was Neues. Es gibt medienwissenschaftliche Untersuchungen wie die Medien im allgemeinen mit neuen polarisierenden Produkten umgehen. Diese bewahrheiten sich mal wieder: zum Anfang lehnen die Medien das neue Produkt ab, zerreißen es, machen es schlecht. Das wird aber langweilig und die Medien versuchen hinter dem abgelehnten Produkt den Menschen zu zeigen, die Story zu suchen. Erst in der dritten Phase wird man ganz normal berichten.

Demnach befindet ihr Euch zwischen Phase eins und zwei?

Ja. Aber um auf ihre Frage zurück zu kommen: Die Wirtschaftskrise hat nichts mit dem boomenden MMA Sport zu tun. Der Sport ist wegen seiner Vielfältigkeit der Möglichkeiten, beim Training, in Sachen Fitness und für das Kämpfen so interessant. Er erzählt die besseren Storys und er ist nicht so langweilig wie viele Boxkämpfe.

Weil intelligente Menschen sich schlagen?

Viele MMA-Aktive sind gut ausgebildete Menschen, das können Lehrer, Arbeiter genauso wie Studierende sein. Im Training sind sowohl 14- als auch 50-Jährige. Auch eine Frauen-Gruppe mit einigen Krankenschwestern trainiere ich. Ist ja auch nicht verwunderlich, denn Frauen kämpfen seit hunderten von Jahren um Gleichberechtigung, wenn sie die leben – wie hier in Mitteleuropa – können, würde es mich eher wundern, wenn sie diese Sportart nicht für sich entdecken.

Naja, als Frau freue ich mich über die gut durchtrainierten Körper, nur welche Bedeutung haben die unzähligen Tattoos?

Einigen wir uns darauf, dass Ihnen diese nur auffallen, weil die Medien das interessant finden und fotografieren. Die meisten Kämpfer haben nämlich kein Tattoo.

Also alle Kämpfer sind eigentlich ganz normal ... aber viele denken wahrscheinlich, das sind Menschen mit kriminellem Hintergrund?

Niemand in der Gruppe ist kriminell. Die meisten trainieren dreimal in der Woche. In den Stunden sind sie physisch und psychisch ausgepowert. Das Training läuft höflich, anständig und diszipliniert ab.

Also doch ein Sport mit Regeln?

Free Fight bedeutet: alle sind willkommen und nicht ein Kampf ohne Regeln. Leider ist dieser Eindruck anfangs verbreitet worden. Wir haben ein sehr umfassendes Regelwerk für Trainer, Schiedsrichter und für Aktive. Das Regelwerk der Anforderungen ist höher als in anderen Sportarten. Wenn sich die Sportler bei der Begrüßung und Verabschiedung nicht die Hand geben oder den Stinkefinger zeigen, dann verlieren sie wegen Unsportlichkeit den Sieg.

Das klingt fair, konsequent und nach Respekt untereinander.

Das ist der Kern. Das Miteinander außerhalb des Ringes ist sehr nett und entspannt.

Im Ring geht es aber nicht locker zu. Da ist ja eher die Regel, dass Blut fließt. Bei den Schmerzen ... lohnt es sich finanziell in den Ring zu steigen?

In Amerika kann man ein Einfamilienhaus gewinnen, in Österreich 20.000 € an einem Abend, in Deutschland ist es um einiges weniger. Nur wenn der größte MMA Veranstalter der Welt, die UFC, einen Kampf-Event in Deutschland anbietet, dann gibt es auch höhere Preisgelder.

Interview: citysports.de, Anne Nyhuis, 11/2010