Es ist ein Spiel - und doch viel mehr!

Capoeira, die brasilianische Mischung aus Kampfsport, Tanz, Musik und Akrobatik, ist für viele auch eine Lebensphilosohie.

Ist das ein Spiel? Die beiden "Spieler", lächelnd, aber hellwach und aufmerksam, umkreisen einander in ständiger Bewegung. Akrobatische Angriffs- und Verteidigungsmanöver, aus dem Stand oder aus der Hocke heraus geführt, wechseln sich blitzschnell ab und verlangen die sofortige, fast intuitive Reaktion des Gegenüber. Die eindringliche Musik gibt den Rhythmus vor und treibt das Tempo der Bewegungen an. Scharfe Beobachtung, Angriff, Verteidigung, Gegenangriff. Es ist ein Zwiegespräch der Körper, die auf die vorgetragenen Attacken, Listen und Täuschungen eine Antwort fordern. Ja, das ist durchaus ein Spiel - und doch viel mehr: Das ist Capoeira!

Auf die Traditionen kommt es an

Der attraktive Kampfsport Capoeira wird seit geraumer Zeit auch in Deutschland angeboten und hat, dank stetig steigender Beliebtheit, das Zeug zum neuen Trendsport. Dabei ist die Capoeira ist nicht allein die spielerisch-lustvolle Mischung aus Kampf, Spiel, Tanz, Musik und Akrobatik, auf die sie hierzulande schnell reduziert wird. Die wahre Capoeira trägt auch einen philosophischen Kern - die Malícia - in sich, der seine Beachtung verlangt.

Leider ist auch in der Entwicklung der Capoeira, ähnlich dem Beispiel der asiatischen Kampfkünste, eine Tendenz zu beobachten, die alten Traditionen durch modernere, mehr wettkampforientierte Stile in den Hintergrund zu drängen. Ein Verlust! Denn nur in der Bewahrung der Philosophie, der Traditionen der alten Meister, der historischen Wurzeln und der Rituale öffnet die Capoeira dem Schüler auch das Tor zur brasilianischen Kultur und wird im Idealfall zu einer Schule der Weisheit.

Freude an der Bewegung

"Die Capoeira ist für mich eine Lebensphilosophie", sagt Adhara Shalders (24), Mitglied der "Artes das Gerais"aus Hamburg. "Das Training löst innere Hemmungen und Blockaden und die Heiterkeit aus diesen Stunden kann ich in meinen Alltag mitnehmen."

In der Tat sieht man in den Lehrstunden nur fröhliche Gesichter, wenn sich die Nachwuchs-Capoeiristas in den Angriffs- und Verteidigungs-Techniken üben. Aus den Grundelementen GingaNegativa und Rolê entwickeln sich die Formen der Capoeira, die im späteren Spiel kombiniert werden. Das Spiel an sich ist eine ständige Improvisation und vermittelt eine immense Freude an der Bewegung des eigenen Körpers. Zwei weitere Gründe für die Fröhlichkeit sind sicherlich auch die typische Capoeira-Musik und die Capoeira-Lieder, die untrennbar mit diesem Spiel verbunden sind und die in guten Capoeira-Gruppen sehr gepflegt werden.

Doch die Freude ist überhaupt ein wesentlicher Bestandteil der Philosophie, die der Capoeira innewohnt. Sie gehört zur Malícia, die den wahren Capoeirista auszeichnet.

Malícia

Die Malícia ist der Dreh- und Angelpunkt der Capoeira und der Capoeirista nutzt sie im Spiel wie im Leben. Der vielschichtige Begriff umfaßt zum einen die Kenntnis des menschlichen Charakters, die sich aus der genauen Beobachtung eines anderen Spielers entwickelt: welche Techniken nutzt er, welche Täuschungen wendet er an, wo sind seine Stärken und wo seine Schwachpunkte? Mit der Zeit vermag der Capoeirista seinen Blick auch im alltäglichen Leben anzuwenden und durch die Art der Bewegung, der Haltung und dem Klang der Stimme die Persönlichkeit eines Menschen sofort zu erfassen.

Zum anderen bezeichnet die Malícia die Eigenschaft des Capoeirista, trotz seiner Kenntnis der menschlichen Natur (insbesondere ihrer finsteren Seiten), seine gute Laune nicht zu verlieren. Der wahre Capoeirista lebt sein Leben mit Genuß und Freude. Er denkt nicht in den Kategorien von Gewinnen und Verlieren und vernachlässigt nicht die Traditionen und Rituale. Durch den spielerischen Kampf, den Gesang der traditionellen Capoeira-Lieder, das Spiel der traditonellen Capoeira-Instrumente und durch das Vorbild des Mestre übt sich der Capoeirista darin, die Heiterkeit zum Wesen seiner Persönlichkeit zu machen.

Jeder ist willkommen

Von dieser Heiterkeit kann sich beim Training jeder, ob Kind oder Erwachsener, Anfänger oder Fortgeschrittener, selbst überzeugen. Die Capoeira-Philosophie möchte ausdrücklich integrieren und heißt deshalb nicht nur jedes Alter und Geschlecht, sondern auch alle sozialen Gruppen willkommen.

Ein Besuch lohnt sich also auf jeden Fall. Der eigentliche Höhepunkt des Trainings ist die Roda am Ende der Stunde. Die Schüler bilden einen Kreis und beklatschen die Paare, die nacheinander aus ihren Reihen in den Kreis eintreten und ihre gelernten Techniken anwenden. Capoeira-Musik begleitet die Roda und treibt die Spieler in eine Form der Trance, in der sie ihre Wahrnehmung allein auf den anderen Spieler konzentrieren. Aktion, Reaktion, Fragen und Antworten der Körper. Das ist ein Spiel - und doch viel mehr: Das ist Capoeira.

Autor: Achim Bartscht / citysports.de

Zur Historie: 
Capoeira wurde von angolanischen Sklaven entwickelt, die seit dem 16. Jahrhundert nach Brasilien verschleppt wurden. Die Sklaven nahmen Bezug auf afrikanische Tänze und Bräuche und trainierten Capoeira, um sich geistig und körperlich auf Kampfsituationen vorzubereiten. Da ihnen jede Form von Kampftraining verboten war, mußten sie diese Form so ausüben, daß es wie ein harmloser Tanz aussah.

Capoeira blieb bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts verboten. Erst durch die Initiative und Arbeit von Mestre Pastinha und Mestre Bimba konnten die staatlichen Autoritäten in den 30er Jahren von der kulturellen Bedeutung der Capoeira überzeugt werden.