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Sportförderunterricht an inklusiven Schulen?!

Sollen Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf zusätzlich zum regulären Sportunterricht in separierten Sportförderstunden unterrichtet werden? Experten der Deutschen Sporthochschule in Köln sehen darin mehr Vor- als Nachteile.

Die Frage nach einem angemessenen Umgang mit heterogenen Gruppen im Sportunterricht an Schulen ist ein Thema, über das seit Jahren diskutiert, geforscht und gestritten wird. Die Debatte über den Sinn oder Unsinn der Trennung von Mädchen und Jungen – mit guten Argumenten für beide Positionen – ist ein bestens bekanntes Beispiel aus diesem Kontext. Mittlerweile rückt allerdings der Sportförderunterricht für Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwächen verstärkt in den Fokus. Sollen Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf zusätzlich zum regulären Sportunterricht in separierten Sportförderstunden unterrichtet werden? Oder verfestigt eine solche Unterrichtssituation, in der motorische Schwächen oder Verhaltensauffälligkeiten besonders stark spürbar sind, die Außenseiterrolle dieser Kinder?

Im Rahmen der Tagung „Im Sport zusammenkommen – inklusiver Schulsport aus vielfältigen Perspektiven“ befassten sich Experten aus Wissenschaft und Praxis in einem Workshop mit genau dieser Fragestellung. Und sie kamen zu einem eindeutigen Ergebnis. Dr. Daniel Klein und Dr. Andrea Kurth resümieren in ihrem Aufsatz „Sportförderunterricht in inklusiven Schulen?!“, der die Ergebnisse des Austausches zusammenfasst: „In Zeiten zunehmenden Bewegungsmangels und in Anbetracht daraus resultierender negativer Folgen sollte Sportförderunterricht als Chance wahrgenommen werden, Schülerinnen und Schülern zusätzliche schulische Bewegungserfahrungen zu ermöglichen.“

Erschienen ist der Text in Band 195 der Reihe „Beiträge zur Lehre und Forschung im Sport“, der den Titel „Im Sport zusammenkommen. Inklusiver Schulsport aus vielfältigen Perspektiven“ trägt. Die Fachleute sind sich einig darin, dass die lange Zeit dominante Vorstellung von einem Förderunterricht, der der Inklusion zuwider laufe, überdacht werden müsse. Zwar besteht auch weiterhin die Gefahr der Stigmatisierung von Kindern und Jugendlichen, die zu einer Teilnahme an besonderen Sportstunden ausgewählt werden, allerdings existieren Kommunikationsstrategien für Lehrkräfte, um solche Dynamiken zu entschärfen. Vier zentrale Aspekte stehen im Zentrum der Debatten, zu denen die Experten Stellung beziehen.

  • 1. Die Grundsätze für die Durchführung von Sportförderunterricht, die noch im vorigen Jahrhundert von der Kultusministerkonferenz (KMK) definiert wurden, sind nicht mehr zeitgemäß, lautet eine Erkenntnis der Tagung. Wünschenswert wäre ein ausgeprägteres Bewusstsein für den Doppelauftrag des Schulsports, der die üblichen Lehrplaninhalte vermitteln soll, zugleich aber auch Angebote für Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten bieten sollte. „An erster Stelle sollten die Themen Inklusion und Heterogenität explizit sowohl in das didaktische Konzept des Sportförderunterrichts als auch in die Ausbildungsinhalte aufgenommen werden“, heißt es bei Klein und Kurth.
  • 2. Die Auswahl der Kinder, die an einem Förderunterricht teilnehmen, sollte in jedem Fall nach klaren definierten Kriterien erfolgen. Keinesfalls reicht es aus, einfach jene Schülerinnen und Schüler an solch einem Angebot teilnehmen zu lassen, bei denen bereits ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert wurde. Individuelle Förderpläne können helfen, weitere Kinder und Jugendliche zu identifizieren, die von entsprechenden Angeboten profitieren können. Sinnvoll wäre, neben motometrischen Verfahren (objektiven Leistungsmessungen) auch motoskopische Tests (subjektive Beobachtungen) einzusetzen. Zudem empfehlen die Experten, SchulärztInnen, SchulpsychologInnen, die Eltern und die betroffenen Kinder in die Entscheidung über eine Teilnahme am Sportförderunterricht einzubeziehen.
  • 3. In einem modernen Sportunterricht spielen neben den motorischen Fertigkeiten, denen in diesem Schulfach immer eine besondere Rolle zufällt, auch kognitive, soziale und emotionale Aspekte eine wichtige Rolle. Der Förderunterricht sollte daher nicht als eindimensionales Bewegungstraining angelegt sein, vielmehr kann ein ganzheitlicher Ansatz einen wertvollen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung leisten.
  • 4. Konsens unter den Expertinnen und Experten ist außerdem die Ansicht, dass der Sportförderunterricht analog zum Förderunterricht in anderen Fächern im Schulprogramm verankert werden sollte. Dazu werden konkrete Empfehlungen ausgesprochen: An jeder Schule sollte es Lehrkräfte mit einer Zusatzqualifikation für den Sportförderunterricht geben, die entsprechenden Angebote sollten zweimal wöchentlich stattfinden, und die Größe der Gruppen sollte acht bis zwölf SchülerInnen nicht überschreiten.

Unsicherheiten bestehen jedoch in der Frage von politischen Vorgaben, denn in vielen Bundesländern ist nicht eindeutig geklärt, ob das Förderangebot für bestimmte Schüler erhalten und ausgeweitet werden soll, oder ob die Verantwortlichen in den Ämtern und Behörden im Sinne des Inklusionsbestrebens eher an einer Abschaffung des Sportförderunterrichts arbeiten. Diese Ungewissheit betrifft auch die Hochschulen, an denen Lehrer ausgebildet werden. Ein klares Zeichen aus den Kultusministerien würde hier sehr helfen.

Text: Daniel Theweleit
Bild: Deutsche Sporthochschule Köln


Der Beitrag stammt aus FORSCHUNG AKTUELL - September 2018
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