Es gibt immer ein Happy-End!

Flamenco ist doch mehr als das Klischee von unendlicher Traurigkeit. Antonio Dias, Tänzer und Lehrer der Flamenco-Werkstatt Berlin, im citysports.de-Interview.

citysports.de: Antonio Dias, sie sind Flamenco-Tanzlehrer und Flamenco-Solo-Tänzer. Haben Männer schon immer Flamenco getanzt?

Antonio Dias: Früher haben Männer einfach losgestampft und sich kaum bewegt, Frauen haben getanzt und die Hände bewegt, aber nicht mit den Füßen gestampft. Carmen Amaya war die erste Frau, die ihre Füße mit in den Tanz einbezogen hat. Heute hat sich alles vermischt.

citysports.de: Ich habe immer das Bild vor Augen: Der Mann spielt Gitarre, die Frau tanzt.

Antonio Dias: Am besten noch das typische Klischee mit Fächer in der Hand, Kastagnetten, Kleid mit Rüschen…

citysports.de: Das sind nur Klischees?

Antonio Dias: Klischees, die gern bedient und mit denen gern gespielt wird. Flamenco, die Musik und die Art wie es präsentiert wird, haben sich in den Jahren weiterentwickelt und verändert.

citysports.de: Was ist denn heutzutage Flamenco?

Antonio Dias: Eigentlich ist Flamenco eine Musikrichtung. Flamenco besteht aus drei Säulen: Der Gesang ist die wichtigste Säule, ohne den kann man nicht von Flamenco reden. Die Gitanos (Zigeuner) haben den Flamenco geprägt und gepflegt. Sie sind gewandert und weitergezogen, waren überall nicht willkommen. Erst in Südspanien konnten sie einigermaßen Ruhe finden, deswegen der orientalische Einfluss auf die Musik. Es ging nicht um die Schönheit der Melodie, es war ein Klagegesang mit verschiedenen Rhythmen, mit fröhlichen und traurigen Passagen, über viel Leid, Tod, aber auch Liebe.

citysports.de: Und die zwei weiteren Säulen?

Antonio Dias: Der Tanz und die Gitarre. Das Zusammenspiel aller ist Flamenco. Die Tänzer werden selbst zu einem Instrument.

citysports.de: Durch klatschen, schnipsen, stampfen…

Antonio Dias: Ja, wir benutzen unseren Körper als Musikinstrument. Wir übertragen die Energie, die vom Gesang ausgeht.

citysports.de: Gibt es denn festgelegte Formen, wie zum Beispiel die Kata beim Karate?

Antonio Dias: Wenn ich tanze, kann ich improvisieren, oder ich habe eine Choreografie einstudiert. Wichtig ist natürlich, dass bestimmte Regeln eingehalten werden, damit die Kommunikation zwischen den Säulen funktioniert.

citysports.de: Tanzt man denn eine Geschichte oder ein Gefühl?

Antonio Dias: Es ist eher ein Gefühl. Wenn der Sänger singt, dass er tief traurig ist und dieses Gefühl keinen Platz in seinem Körper hat, höre ich das und reagiere als Tänzer darauf mit lauten Füßen als Symbol einer Explosion. Man nutzt die Energie vom Sänger, nimmt sie auf, setzt sie um. Die Säulen Gesang, Gitarre, Tanz wechseln sich in der Wichtigkeit ab. Wenn ein Sänger singt, dann halte ich mich zurück. Wir geben uns gegenseitig Signale.

citysports.de: Das kann ich als Laie nicht erkennen, oder?

Antonio Dias: Als Laie bewundert man das Zusammenspiel der drei Säulen. Und die Zuschauer sind begeistert und applaudieren.

citysports.de: Nur wenige Tänze begeistern und reißen das Publikum so mit!

Antonio Dias: Flamenco ist ein Bühnentanz. Jeder geht aus einer Flamenco-Veranstaltung klatschend raus. Dieses Lebensgefühl, das dargestellt wird, das hat jeder schon mal erlebt. Alegria, die Freude, Solea – die Einsamkeit, Bolero – das Verspotten. Das Schöne ist: Es gibt keine Alters- und Figurbeschränkung. Jeder kann es machen, jeder auf seine persönliche Art.

citysports.de: Und wir kühlen Norddeutschen, was ist mit uns?

Antonio Dias: Aufrecht und selbstbewusst stehen, das können sie nicht gut. In Deutschland habe ich das Gefühl, wenn eine Frau ihre Brust rausstrecken soll, macht sie das nur ungern, weil sie meint ihre Brüste seien zu klein oder zu groß, deswegen müsse man sie verstecken. Im Süden spielt das keine Rolle. Da ist es egal. Da geht man anders mit um. Auch mit dem Kokettieren haben wir es hier nicht so leicht.

citysports.de: Haben die deutschen Männer auch Schwierigkeiten?

Antonio Dias: Bei Männern ist es das Machogehabe, was im Süden einfach dazu gehört. Es passt nicht zum deutschen Bild. Das gehört aber auch zum Flamenco tanzen dazu. Man spielt eine kleine Rolle auf der Bühne. Interessant ist, dass Flamenco bei den Japanern so beliebt ist.

citysports.de: Japan, warum gerade dort?

Antonio Dias: Man vermutet, es liegt an der Literatur, spanische und japanische Lyrik sind ähnlich. Zudem sind Japaner äußerst korrekt, und Flamenco ist ein Ventil um auszubrechen. Du darfst zeigen, was Du fühlst. Es ist einer Art Lebensgefühl, das Du singen, spielen und tanzen kannst.

citysports.de: Aber warum muss Flamenco immer so ernst und traurig sein?

Antonio Dias: Das ist nicht so. Das Leben ist doch nicht nur traurig. Es gibt ganz lustige und fröhliche  Texte. Die traurigen Lieder hören nicht traurig auf. Es gibt immer ein Happy-End. Die Lieder enden schneller und fröhlich.

citysports.de: Irgendwie passt der Begriff nicht so richtig, aber macht Flamenco tanzen Spaß?

Antonio Dias: Der Begriff passt schon. Es ist einfach toll zu sehen, wie man im Unterricht immer mehr lernt, es macht Spaß auf der Bühne zu tanzen, es ist ein schönes Gefühl, wenn die Kommunikation zwischen Gesang, Gitarre und Tänzer klappt. Von Herzen mit Gefühl tanzen, diese Dynamik – das macht total viel Spaß!

citysports.de: Bis zur Bühne ist es aber ein langer, harter Trainingsweg.

Antonio Dias: Wenn man nicht vom Flamenco begeistert ist, hört man schnell auf, weil es zu schwer ist. Einer der Musikbögen besteht aus zwölf Takten, das ist für unsere Ohren unbekannt und nicht einfach heraus zu hören. In den Anfängerkursen geht es zunächst um die Körper und Fußtechnik, Koordinationsschulung, schnelle Fußbewegungen und langsame Armbewegungen. Dann kommen die Hände dazu, die Finger, der Kopf und eventuell Requisiten, wie z.B. Fächer. Rock, Hut... Am Anfang glaubt man, das schaffe ich nie. Aber es ist klasse, wenn es dann doch klappt.

citysports.de: Und was ist mit dem Kern des Flamenco – dem Gefühl?

Antonio Dias: Das Gefühl tanzen. Die Bilder beim Tanzen entstehen lassen und genießen, dann springt der Funke über. So fesselt man auch die Zuschauer. Wichtig ist, dich und sie im Herzen zu berühren.

citysports.de: Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: citysports.de, Anne Nyhuis
Interviewpartner Antonio Dias ist Tänzer und Lehrer der Flamenco Werkstatt Berlin.