Wer brav ist, wird nicht erfolgreich!

Teilnahme an der U20-WM, Staffel-Europameisterin, Deutsche-Meister-Titel. Anna-Lena Freese ist eine außergewöhnliche Nachwuchs-Sprinterin. Zusammen mit ihrem Trainer Björn Sterzel schwärmt sie über die olympische Kernsportart: Leichtathletik.

citysports.de: Wie bist Du ausgerechnet zur Leichtathletik gekommen, es gibt heutzutage so viele unterschiedliche Sportarten im Angebot. Warum das Klassische?

Sprinterin Anna-Lena Freese: Anfangs habe ich Judo gemacht, das war aber nicht das Richtige für mich. Ich wollte nicht anderen oder mir wehtun. Leichtathletik war mein Ding. Habe mich schon als Kind ein ganzes Jahr lang auf die Bundesjugendspiele gefreut und oft beim Leichtathletik-Training der Großen zugeguckt. Mit neun Jahren bin ich in unserem Dorfverein gestartet. Die Wurf- und Sprung-Disziplinen waren nichts für mich - Sprinten bringt mir Spaß!

Nachwuchstrainer Björn Sterzel: Beim Leichtathletik-Training kann man viel Bewegungserfahrungen sammeln und sich austoben. Durch die vielen Lauf-, Sprung- und Wurf-Disziplinen wird es nie langweilig, alles ist messbar. Die Basis bei fast allen Sportarten ist immer Laufen, Springen, Werfen.

Demnach sollten alle Kids Leichtathletik trainieren, zudem ist Die Sportart auch für alle zugänglich.

Björn: Leichtathleten kommen aus allen Bevölkerungsschichten. Die Motivation der Eltern ist allerdings wichtig, denn sie fahren die Kinder zum Training oder zum Wettkampf.

Anna-Lena: Leichtathletik kann wirklich jeder machen. Ein paar Schuhe an und Laufen, Werfen oder Springen. Später ein paar Spikes. Besonders in der Gruppe, aber trotzdem für seine eigene Leistung zu trainieren, ist klasse.

Viele steigen spätestens im Jugendalter aus, haben andere Interessen. Du hingegen bist mit 16 Jahren ins Sportinternat nach Hannover gegangen. Ein großer Schritt.

Anna-Lena: Meine Eltern und der Trainer haben mich überreden müssen. Ich wollte erst nicht. Es ist als Jugendliche sehr schwer, Familie und Freunde hinter sich zu lassen. Jetzt weiß ich, dass es die beste Entscheidung für mich war.

Björn: Anna-Lena habe ich in einem Trainingslager entdeckt. Ich musste damals viel Überzeugungskraft leisten. Hätte aber auch nie gedacht, dass ich als Trainer mit so vielen Themen außerhalb des Trainings zu tun haben werde. Zeugnisse will ich zum Beispiel auch sehen.

Und wie läuft es in der Schule?

Björn: Da machen sich besonders die Eltern Sorgen. Wir Trainer haben aber festgestellt: Je mehr Training die Athleten absolvieren, desto bessere Leistungen erbringen sie auch in der Schule. Leistungssportler können sich sehr gut organisieren und auch mit Stresssituationen umgehen.

Nicht jede Schule geht auf die Bedürfnisse von Leistungssportlern ein – wie ist es in Hannover?

Anna-Lena: Das Sportinternat kooperiert mit zwei Schulen. Dreimal wöchent- lich fängt der Unterricht später an, damit wir Athleten das Frühtraining absolvieren können. Zudem können wir unser Abitur auf 13 Jahre strecken. Das Tolle ist: Hier ist alles vor der Nase. Das hätte ich zu Hause nicht gehabt.

Björn: Da Anna-Lena in jungen Jahren schon so außergewöhnliche Leistungen erbringt, wurde für sie über die Initiative Leistungssport Hannover 08 (ILS) ein Sponsorenpaket geschnürt, neben dem LSB und NLV wird sie durch den Ausrüster adidas, Perfekta-Unternehmensgruppe, buisiness for kids und der Toto-Lotto Stiftung unterstützt. Sonst wäre Leistungssport in der Leichtathletik nur schwer bezahlbar.

 … trotzdem fällt auch das Alltägliche an, wie z. B. Wäsche waschen.

Anna-Lena: Klar muss ich das selber machen. Jeder hat im Sportinternat ein Zimmer allein oder zu Zweit, es gibt eine Gemeinschaftsküche sowie ein Wohnzimmer. Den 14-Jährigen helfen wir auch öfter mal beim Waschen.

Ist das üblich unter Leichtathleten? Haben Dir Deine Mannschafts-Kollegen auch nach Deinem verpatzten 200m-Sprint bei der U20-WM in Barcelona geholfen?

Anna-Lena: Habe mich schon sehr geärgert. Da wollte ich nur alleine sein. Das haben alle respektiert. Der Zusammenhalt unter den Leichtathleten ist groß. Sie haben mir geholfen, und sei es einfach nur Essen zu holen.

War Barcelona eine bittere Lehre für Dich?

Anna-Lena: Es gibt gute und auch mal schlechte Jahre. Es ist eine lehrreiche Erfahrung, wichtig ist, dass man am Sprinten weiterhin Spaß hat und nicht aufgibt, sondern weitermacht.

Björn: Aus dieser Situation wird Anna-Lena gestärkt herausgehen und diese Erfahrungen werden sie für die Zukunft weiter voran bringen.

Als Leistungssportler führt man schon ein anderes Leben.

Anna-Lena: Wir Leistungssportler verzichten auf Feiern, dafür bekommen wir Erfolg und viele unvergessliche, einmalige Erlebnisse. Für Deutschland zu laufen, das ist ein unbeschreibliches Gefühl, da wächst das Selbstbewusst- sein. Wir Leichtathleten haben Kontakte zu vielen anderen Nationen. Das prägt fürs Leben.

Ist es auch wichtig als Leichtathlet viel über Bewegungs- und Trainingslehre zu wissen?

„Du sitzt beim Training ja nur rum und machst Pausen“ – sagen schon ab und zu Mitschüler. Das ist für Sprinterinnen sinnvoll. Habe es schon oft versucht zu erklären, aber das verstehen viele nicht. Mein Trainer hat mir viel gezeigt und erklärt. Das ist wichtig. Aber nachher denkst Du darüber nicht mehr nach, sondern machst es einfach.

Bei vielen Sportveranstaltungen gibt es viele weitere integrierte Events. In der Leichtathletik ist es noch klar, konzentriert auf den Kern, auf den Sport.

Anna-Lena: Ich möchte sprinten und nicht feiern. Wir fokussieren uns auf den Wettkampf. Ich will nicht im Rampenlicht stehen. Wir Leichtathleten sind schon auf dem Boden geblieben. Besonders schön ist die Familienpräsenz im Stadion. Das Drumherum juckt uns als Athlet nicht.

Björn: Auf dem Sportplatz werden Leistungen erbracht. Ein Eventcharakter würde natürlich mehr Medien und mehr Sponsoren anziehen. Doch Leichtathletik ist keine Spaßveranstaltung, es ist die olympische Kernsportart. Dabei zu sein, das Beste zu erbringen. Mann gegen Mann – Frau gegen Frau.

Was braucht denn ein Leichtathlet, um erfolgreich zu sein?

Björn: Positiv verrückt sein. Ehrgeizig, zielstrebig und Disziplin – bereit sein zu verzichten. Das können keine 08/15-Personen. Natürlich müssen sie auch bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen. Eine hohe Leistungs- bereitschaft, der Körperbau und die Willensstärke sind wichtig. Sie müssen in der Lage sein im Wettkampf noch eine Leistungssteigerung gegenüber dem Training zu schaffen. Erst wenn es wehtut, geht es richtig los. Wer zu brav ist, wird nicht erfolgreich.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: citysports.de, Anne Nyhuis, 08 / 2012

Athletenportrait Anna-Lena Freese

Anna-Lena Freese hat sich auf den 200-Meter Lauf spezialisiert. Bestzeit: 23,83 Sekunden. Die 18-Jährige startet für den FTSV Jahn Brinkum und trainiert am Olympiastützpunkt Hannover. Ihr Ziel: Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro. Foto: Micha Neugebauer

Trainer Björn Sterzel

Björn Sterzel ist Niedersachsens Landestrainer für den Nachwuchs in den Disziplinen Sprint / Hürden. Foto: Micha Neugebauer

Fotograf Micha Neugebauer

Micha Neugebauers Stärke sind aussagekräftige Portraits - insbesondere von Sportlern, Musikern, Schauspielern sowie Künstlerportraits. Seit über 10 Jahren arbeitet Micha Neugebauer als freiberuflicher Fotograf.